Verantwortung, Zeichenlesen und Respekt
NACHSUCHE IN DER JAGD
Ob auf Drückjagd oder Einzelansitz – jeder Schuss auf Wild bringt Verantwortung mit sich. Denn so gut die Schießtechnik auch sein mag, nicht jeder Treffer führt sofort zum Verenden des Stücks. Genau hier setzt die Nachsuche an: Sie ist keine Ausnahme, sondern fester Bestandteil waidgerechter Jagd.
Der Jäger ist verpflichtet, ein angeschossenes Tier so schnell wie möglich zu erlösen – nicht nur aus rechtlichen Gründen, sondern vor allem aus Achtung vor dem Wild.
Die Nachsuche verlangt Erfahrung, Ruhe und das richtige Einschätzen von Spuren. Sie ist Teil des jagdlichen Handwerks – und oft auch ein Spiegelbild jagdlicher Haltung.
Bedeutung und Bedarf der Nachsuche
Die Nachsuche beschreibt das gezielte Aufnehmen und Verfolgen der Fährte eines angeschossenen Wildtieres – meist Reh-, Schwarz- oder anderem Schalenwild. Das Ziel ist es, das Wild tierschutzgerecht zu erlösen, sofern es den Schuss überlebt hat. Der Jäger beginnt meist am sogenannten Anschuss, also dem Ort, an dem das Tier beim Treffer stand. Dort lassen sich erste Spuren wie Schweiß, Schnitthaar oder Pirschzeichen finden, die Aufschluss über den Treffer und die Fluchtrichtung geben.
Im Sprachgebrauch wird häufig auch der Begriff „Totsuche“ verwendet. Damit ist eine Nachverfolgung gemeint, bei der der Jäger bereits davon ausgeht, dass das Tier verendet ist – zum Beispiel nach einem Lungentreffer. Ziel ist in diesem Fall nicht mehr das Erlösen, sondern das Auffinden des verendeten Wildes, um es vor dem Verderb zu bewahren und das Wildbret zu sichern.
Trotzdem gilt: Beide Formen – Nachsuche wie Totsuche – verlangen Ruhe, Übersicht und Sorgfalt. Ob das Stück liegt oder nicht, ist oft erst nach einigen Metern Gewissheit. Auch ein vermeintlich sicherer Treffer kann überraschen.
Der erfahrene Jäger weiß: Die Nachsuche beginnt nicht erst mit dem Hund auf der Fährte, sondern in dem Moment, in dem die Schussabgabe erfolgt.
Praxisbeispiel im Video: Nachsuche nach einem Lungenschuss
Im folgenden Video wird eine reale Nachverfolgung dokumentiert – vom ersten Sichtkontakt bis hin zur Spurensicherung und dem Auffinden des Stücks. Ein wertvoller Einblick in jagdliche Praxis und Verantwortung.
Ablauf der Nachsuche
Der erste Schuss – und was danach zählt
Die Nachsuche beginnt nicht erst am Ort des Treffers, sondern mit dem Moment des Schusses selbst. Vieles, was danach folgt, entscheidet sich in den ersten Sekunden: Position, Beobachtung und Vorbereitung sind entscheidend.
In der Praxis bedeutet das: Wer Wild anwechseln sieht – wie in unserem Beispiel ein Reh am Hang – schießt nicht unüberlegt. Stattdessen pirscht sich der Jäger mit Zielstock und Waffe langsam in eine bessere Position, wählt einen sicheren Kugelfang und achtet darauf, nicht zu weit zu schießen – auch wenn die Versuchung groß ist.
Wichtig ist, sich schon vor dem Schuss markante Referenzpunkte einzuprägen. Wo stand das Stück genau? Gab es einen auffälligen Ast, einen querliegenden Baumstumpf oder einen markanten Fichtenstamm? Gerade in unübersichtlichem Gelände wie einem Kahlschlag sieht nach wenigen Schritten oft alles anders aus. Wer sich keinen Anhaltspunkt merkt, findet den Anschuss später kaum wieder.
Nach der Schussabgabe zählt dann vor allem Beobachtung. Springt das Rehwild ab? Zeichnet es? In welche Richtung flüchtet es? Selbst kleinste Hinweise – ein Einknicken der Hinterläufe, ein Schleppen, eine Richtungsänderung – können Rückschlüsse auf die Trefferlage geben.
Der Jäger, der ruhig bleibt und genau beobachtet, hat später bei der Fährtenarbeit entscheidende Vorteile. Denn wer weiß, wo das Stück stand und wohin es geflüchtet ist, kann die Spur gezielter aufnehmen – mit oder ohne Hund.
Wichtige Punkte direkt nach dem Schuss:
- Referenzpunkte merken, z. B. auffällige Äste, Baumstümpfe oder Fichtenstämme
- Zeichnen genau beobachten: Reaktion des Wildes auf den Treffer erkennen
- Fluchtrichtung einprägen
- Ruhig bleiben und nicht sofort loslaufen
- Trefferlage anhand kleinster Hinweise einschätzen
- Konzentration bewahren – jeder Hinweis zählt für das Nachsuchen
Am Anschuss – Zeichen lesen wie ein Profi
Der Anschuss ist der zentrale Ausgangspunkt jeder Nachsuche. Wer ihn findet und richtig bewertet, hat bereits einen großen Teil der Arbeit getan. Doch genau hier passieren viele Fehler – sei es durch Ungeduld, Unsicherheit oder falsche Einschätzung der Zeichen.
Im gezeigten Beispiel sind die ersten Hinweise deutlich: Am Baumstamm zeigt sich hellroter Schweiß, in dem sich kleine Lungenfragmente finden. Die Farbe, die Konsistenz und die organischen Bestandteile lassen auf einen Lungentreffer schließen. Ein sicheres Indiz, dass das Stück in der Nähe verendet ist – und in diesem Fall keine Hundearbeit erforderlich macht.
Weitere Spuren finden sich am Boden: Tropfen auf Blättern, Haare, kleine Gewebestücke oder Schleifspuren. Wichtig ist, dass der Jäger die Umgebung ruhig absucht und systematisch arbeitet – Spur für Spur. Dabei gilt es viele Dinge zu beobachten:
- Hellroter Schweiß: Hinweis auf Lungenschuss
- Dunkler, dickflüssiger Schweiß: Hinweis auf Leber- oder Weichschuss
- Lungenfragmente oder Schleimblasen im Schweiß
- Schnitthaar am Boden oder an Pflanzen
- Haut- oder Muskelteile bei Streifschüssen
- Schleifspuren, Trittsiegel oder aufgekratzter Boden
Manche Stücke ändern nach dem Treffer ihre Fluchtrichtung oder überschlagen sich im Gelände. Das erschwert die Nachsuche, liefert aber auch wertvolle Hinweise: Stellen, an denen das Tier kurz zusammenbricht, liefern oft größere Mengen Schweiß.
Tipp: Wenn die Fährte einmal abreißt, sollte der letzte sichere Punkt mit einem markanten Ast oder Band kenntlich gemacht werden. So lässt sich die Suche jederzeit wieder aufnehmen, ohne sich zu verlaufen.
Wer die Zeichen kennt – und lernt, sie richtig zu deuten – kann viele Nachsuchen auch ohne Hund sicher zum Abschluss bringen. Entscheidend ist, nicht zu hastig zu handeln, sondern Schritt für Schritt zu lesen, was das Wild hinterlassen hat.

Die Fährte verfolgen – mit Ruhe und System
Ist die Situation am Ausgangspunkt der Nachverfolgung geklärt, beginnt der nächste Schritt: die Nachsuche auf der Fährte. Hier ist es entscheidend, mit Bedacht vorzugehen. Wer zu schnell oder unüberlegt arbeitet, kann Spuren zerstören – oder sich in eine falsche Richtung bewegen.
Im Video wird deutlich, wie wichtig es ist, Spuren mit System zu verfolgen. Der Schweißverlauf ist erkennbar, mal deutlich, mal nur in Tropfen. An hellen Blättern und glatten Stämmen lässt sich erkennen, wo das Stück vorbeigezogen ist – manchmal streift es mit der Bauchdecke an einem Stamm entlang, was zusätzliche Hinweise liefert.
Auch Schleifspuren oder Fragmente wie Haut- und Gewebereste sind typisch. Entscheidend ist, immer vom letzten sicheren Zeichen aus weiterzuarbeiten – und nicht einfach zu spekulieren, wohin das Tier wohl geflüchtet sein könnte.
In vielen Fällen liegt das Schalenwild nach 30 bis 100 Metern – besonders bei Lungenschüssen. Doch es gibt Ausnahmen. Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit, eine falsche Abzweigung, und die Spurensuche wird unnötig lang oder gar erfolglos.
Umso wichtiger ist es, sich immer wieder neu zu orientieren, Referenzpunkte im Gelände zu setzen und die Spur mit Ruhe, Geduld und geschultem Blick zu verfolgen.
Im besprochenen Fall war der Erfolg schnell sichtbar: Deutliche Austritte im Moos, verstärkter Schweißaustritt – und schließlich das verendete Stück am Waldrand.
Grundregeln beim Verfolgen der Fährte:
- Immer vom letzten sicheren Punkt aus weitergehen
- Spuren dokumentieren oder markieren – z. B. mit einem abgebrochenen Ast
- Bei Unklarheit: lieber kurz zurückgehen als falsch weitermachen
- Gelände genau beobachten – Moos, Blätter, aufgewühlter Boden geben Hinweise
- Fluchtrichtung logisch mit dem Gelände abgleichen

Nachsuche lernen – mit System und Praxisnähe
Jede Nachverfolgung ist anders. Gelände, Wetter, Trefferlage, Verhalten des Wildes – all das verlangt vom Jäger ein hohes Maß an Einschätzung, Entscheidungssicherheit und Erfahrung. Genau das ist der Punkt, an dem viele ins Schwanken geraten: Unsicherheit am Anschuss, Zweifel bei der Verfolgung, Angst vor Fehlern.
Drei Dinge, die man für eine gute Nachsuche können muss:
- Zeichen sicher deuten: Farbe, Konsistenz und Lage von Schweiß, Haar, Organfragmenten unterscheiden zu können, ist die Grundlage vom Nachsuchen.
- Verhalten richtig einordnen: Fluchtrichtung, Zeichnen, Richtungswechsel – all das gibt Hinweise auf die Trefferlage und das weitere Vorgehen.
- Ruhig und systematisch arbeiten: Auch unter Druck klar zu handeln, Referenzpunkte zu setzen und die Spur korrekt zu verfolgen, braucht Übung.
Genau hier setzt eine fundierte jagdliche Ausbildung an. Gerade wer unter Anleitung lernt, den Fundort der ersten Zeichen zu lesen, Spuren zu deuten oder Fluchtrichtungen im Gelände nachzuvollziehen, entwickelt Sicherheit – und die ist bei der Nachsuche entscheidend.
Denn wer sicher ist, handelt ruhig. Und wer ruhig handelt, trifft die richtigen Entscheidungen – für sich, für das Wild, für die Jagd. Eine solide Ausbildung ist daher unerlässlich.
Nachsuche mit Hund und Hundeführer
Nicht jede Suche nach dem Wild lässt sich allein bewältigen. Gerade bei schlechten Schüssen, komplexem Gelände oder schwieriger Witterung braucht es Spezialisten – und die arbeiten auf vier Pfoten.
Ein Nachsuchenführer ist ein erfahrener Jäger, der gemeinsam mit einem speziell ausgebildeten Jagdhund antritt, um schwer zu lesende Fährten aufzunehmen. Die beiden bilden ein eingespieltes Team: Der Hund bringt eine herausragende Nase mit, der Hundeführer die nötige Erfahrung, um dessen Verhalten richtig zu deuten.
Besonders bei Schwarzwild, in Hanglagen oder bei Weichschüssen, bei denen wenig Schweiß zu finden ist, zeigt sich, wie wichtig diese Zusammenarbeit ist. Gut gearbeitete Jagdhunde können Spuren lesen, die für das menschliche Auge längst verschwunden sind – auch nach Stunden oder bei Regen.
Bekannte Jagdhunderassen für die Nachsuche
Nicht jeder Hund eignet sich für die anspruchsvolle Nachsuche. Schweißarbeit verlangt einen ausgeprägten Spurwillen, Nervenstärke und eine enge Bindung zum Hundeführer.
Typische Vertreter solcher Jagdhunde sind etwa der Bayerische Gebirgsschweißhund oder der Hannoversche Schweißhund – beides Rassen, die speziell für die Nachsuche auf Schalenwild gezüchtet wurden.
Je nach Region, Jagdtradition oder Gelände kommen jedoch ganz unterschiedliche Rassen zum Einsatz: In manchen Revieren wird mit Deutsch-Drahthaar, Kopov, Teckel (Dackel) oder sogar mit Labrador-Mischlingen gearbeitet – entscheidend ist nicht der Stammbaum, sondern die Ausbildung, Verlässlichkeit und Zusammenarbeit mit dem Führer.
Wichtig bleibt: Ein guter Nachsuchenhund ist kein Allrounder, sondern ein Spezialist – und gehört in die Hände eines erfahrenen Hundeführers, der seine Signale lesen und richtig deuten kann.
Typische Situationen für den Einsatz von Hundeführer und Jagdhund:
- Kaum Schweiß sichtbar, z. B. bei Weichschuss
- Fluchtstrecke über mehrere hundert Meter
- Unübersichtliches Gelände (z. B. Dickungen, Kahlschläge, steile Hänge)
- Nachsuche bei Nacht oder starkem Regen
- Nachverfolgung auf Schwarzwild mit erhöhtem Risiko
Die Zusammenarbeit mit einem Nachsuchenführer ist kein Zeichen von Unsicherheit – im Gegenteil: Sie zeigt Verantwortung. Wer erkennt, dass eine Fährte nicht mehr selbst zu lösen ist, handelt waidgerecht. Und schützt sich, das Wild – und im Zweifelsfall auch seinen Hund.
Fazit: Die Totsuche als Königsdisziplin der Jagd
Die Nachsuche gehört zu den anspruchsvollsten Aufgaben im jagdlichen Alltag – und zu den verantwortungsvollsten. Sie verlangt Ruhe, Wissen und einen klaren Blick für Details. Wer das Handwerk beherrscht, weiß: Nicht der Treffer entscheidet über die Qualität der Jagd, sondern das, was danach kommt.
Ein sauber gesetzter Schuss, das sichere Lesen von Spuren und der respektvolle Umgang mit dem Wild zeigen, was waidgerechtes Jagen ausmacht. Die Kontrolle des Treffers ist kein lästiger Pflichtteil, sondern Ausdruck jagdlicher Haltung – und verdient entsprechend viel Aufmerksamkeit.

Häufige Fragen zur Nachsuche
Die Nachsuche ist das gezielte Verfolgen eines verletzten Wildtiers nach dem Schuss – in der Regel Schalenwild wie Rehwild, Schwarzwild oder Rotwild. Ziel ist es, das Wild so schnell wie möglich zu erlösen und unnötiges Leiden zu vermeiden. Die Nachverfolgung gehört zu den wichtigsten Aufgaben des Jägers und ist Ausdruck waidgerechter Jagdausübung.
Ein Nachsuchenführer ist ein speziell geschulter Jäger, der zusammen mit einem ausgebildeten Jagdhund schwer nachvollziehbare Fährten aufnimmt. Er wird meist dann gerufen, wenn die Schweißarbeit – also das Verfolgen der Blutspur – besonders schwierig ist, zum Beispiel bei Weichschüssen oder bei schlechter Sicht.
Der Jagdhund ist bei vielen Nachsuchen unverzichtbar. Dank seiner feinen Nase kann er auch geringe Schweißmengen oder alte Fährten aufnehmen. Besonders bei Schwarzwild oder im dichten Bestand liefert der Jagdhund oft den entscheidenden Hinweis. Wichtig ist dabei die Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Hundeführer.
Unser Autor

Nico Kessler-Thönes ist Geschäftsführer, Ausbildungsleiter und Schießausbilder an der Hochsitz Akademie, spezialisiert auf die Vermittlung von Fachwissen über den Lebensraum Wald, nachhaltige Jagd und ethische Jagdpraktiken. Auf unserem YouTube-Kanal stellt er erfahren Jägern und frisch gebackenen Jungjägern spannende Videos rund um das Thema Jagd zur Verfügung.